„ES BRAUCHT EHE OHNE GRENZEN, damit wir mit den Menschen zusammen leben können, die wir lieben, egal welche Nationalität diese haben.“
„Ich lernte U*** 2015 kennen. Er verkaufte damals eine Straßenzeitung, ich las die Zeitung gerne“, wir kamen ins Reden und erkannten gemeinsame Interessen. Wir trafen uns abseits der Zeitungsverkaufsstelle, verbrachten mehr und mehr unserer Freizeit miteinander.
Normaler Beziehungsanfang? Ja und nein. Aufregende Zeit, Schmetterlinge im Bauch – ja. Aber immer im Hinterkopf, dass dieser Mann jeden Moment eine Nachricht bekommen könnte, dass er Österreich verlassen muss, abgeschoben wird. Der Gedanke machte mich nervös. Also wollte ich eigentlich erst keine ernste Beziehung. Mit der Zeit merkte ich jedoch, dass mir U*** immer mehr bedeutete und wir längst Weihnachten, Neujahr, Geburtstage, Familienfeste gemeinsam gefeiert hatten. Ich wollte ihn in meinem Leben haben. Die Lösung, die mir dazu einfiel, war zu heiraten.
„Ich hatte Hochzeiten immer für altmodisch, unnötig und überholt gehalten. Es kam mir nun ironisch vor, dass ich einen Mann, den ich rund ein halbes Jahr kannte, fragte, ob wir heiraten sollten.“
Uns so fingen wir an, uns zu informieren und stießen auf immer mehr Hindernisse. Wir bekamen eine lange Liste an erforderlichen Nachweisen für Staatsbürger aus Nigeria von dem Standesamt mit: Dokumente, die er nicht hatte inklusive Übersetzungen, die beglaubigt werden mussten. Wir rechneten nach, wie viel es kosten würde – an Geld und Zeit. Es war entmutigend und abschreckend.
In der Zwischenzeit wollten wir zusammenziehen. U*** wohnte in einem kleinen, feuchten Zimmer mit Klo am Gang und Dusche im Zimmer des Mitbewohners. Zu mir durfte er nicht ziehen, denn der Vermieter hatte Bedenken wegen der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung und in so einem kleinen Dorf kenne jeder jeden, da würde das auffallen. Wir suchten also eine kleine, günstige Wohnung für zwei – kein einfaches Unterfangen.
Einige Monate später hatten wir es dennoch geschafft: Wir wohnten zusammen, aber Heirat und Aufenthaltsgenehmigung lagen immer noch in weiter Ferne.
„Ich war schwanger, die Freude auf das Baby wurde getrübt von Sorgen um die Zukunft und Angst vor Verurteilung von Bekannten und Arbeitskolleg*innen.“
Auch die Vorbereitungen auf die Hochzeit gingen nur langsam voran. Wir fanden heraus, dass wir in Dänemark heiraten konnten mit den Dokumenten, die wir bereits hatten. Ich besorgte eine Genehmigung vom Frauenarzt, dass ich fliegen durfte (mittlerweile im 8. Monat) und wir machten uns auf den Weg. Im Standesamt auf einer kleinen dänischen Insel mussten wir uns 24 Stunden vor der Zeremonie vorstellen und unsere Dokumente einreichen. Aufgrund der Erfahrungen in österreichischen Standesämtern rechnete ich damit, dass uns die Beamtin jeden Moment sagen würde: „Nein, sorry, geht doch nicht.“ Tat sie nicht. Wir verbrachten den Tag auf der Insel, übernachteten in einem Bed & Breakfast und machten uns am nächsten Tag auf den Weg ins dänische Standesamt. Und zu meiner Überraschung wurden wir ins Zimmer gebeten, wo sich uns eine nette Standesbeamte vorstellte und uns mit zwei Trauzeuginnen bekannt machte. Sie hielt eine kurze Rede, die Zeuginnen machten für uns einige Fotos zur Erinnerung und zwanzig Minuten bekamen wir unsere Heiratsurkunde überreicht. Erleichtert und immer noch ungläubig, wie einfach das gegangen war, machten wir uns auf den Rückweg nach Kopenhagen. Voller Zukunftspläne. Tja, wenn wir nur gewusst hätten, wie es in Österreich weitergehen würde.
Vorerst warteten wir auf die Geburt unseres Babys. Es war kalt, Eis auf den Straßen und eines Tages kam mein Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Hause. Er war auf dem vereisten Gehsteig ausgerutscht, hatte sich den Kopf angeschlagen. Er konnte sich nicht hinlegen vor Schmerz. Es wurde nicht besser und so fuhren wir mit dem Taxi ins Krankenhaus. Er hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung und keine Krankenversicherung. Er wurde untersucht, Diagnose Gehirnerschütterung, und wurde mit Schmerzmittel und einer hohen Krankenhausrechnung nach Hause geschickt.
„Wenige Wochen später, im gleichen Krankenhaus, kam unser Baby zur Welt. Ein kleiner Mensch, ein Wunder, wir freuten uns und konnten unsere Sorgen für kurze Zeit vergessen.“
Wir gaben dem Baby zwei Vornamen, einen in der Sprache meines Mannes und einen Namen, der sowohl im Deutschen als auch im Englischen gebräuchlich ist. Die Geburtsurkunde war im Standesamt unseres Wohnortes abzuholen. Die Beamte kannte mich bereits, hatte sie doch schon wiederholt meine Anfragen bezüglich der Heirat abgeschmettert. Den Namen des Vaters setzte sie nur, wie sie betonte, aus Nettigkeit ihrerseits auf die Urkunde. Wir waren inzwischen zwar verheiratet, aber die Geburtsurkunde meines Mannes war immer noch nicht aus Nigeria eingetroffen, und diese hätte sie eigentlich sehen wollen. Aber weil es ja eine Heiratsurkunde gab und einen Pass, wolle sie hier eine Ausnahme machen. Ich war sprachlos, konnte ein ungläubiges Augenrollen gerade noch unterdrücken.
Das Baby war süß, aber es hatte Bauchschmerzen, schrie abends viel und schlief schlecht. Alles nur eine Phase, lautet das Mantra von Eltern. Mein Mann musste sich zur gleichen Zeit auf seine erste Deutschprüfung vorbereiten. Ich versuchte ihn zu unterstützen, erklärte übermüdet deutsche Grammatik und Aussprache. Prüfung bestanden.
Auch die Geburtsurkunde meines Mannes traf endlich, endlich ein. Es hatte lange gedauert, seine Familie in Nigeria hatte erst bei der regionalen Behörde darum ansuchen müssen. Anschließend musste die Urkunde dann den langen Weg in die Hauptstadt Abuja zur österreichischen Botschaft gebracht werden, damit sie von ebendieser beglaubigt wird. Bei der Botschaft in Abuja muss man einen Termin vereinbaren, sonst ist die lange Fahrt umsonst. Diese Termine sind jedoch Monate im Voraus ausgebucht. Wenn man dann einen Termin hat, kann man das Dokument einreichen und muss einige Zeit warten, bis man es beglaubigt abholen kann. Für diese beglaubigte Urkunde suchten wir nun eine*n Übersetzer*in. Wir hatten zwar bereits vor der Hochzeit Dokumente übersetzen lassen, aber diese Übersetzerin wollte ich kein weiteres Mal beauftragen. Sie hatte mich nach dem erledigten Job angerufen, dass ich diesen Mann nicht heiraten sollte, denn er wolle mich nur wegen der Aufenthaltsgenehmigung. Beim zweiten Mal wollten wir also jemand anderes mit der Übersetzung beauftragen. Gesucht, gefunden, diesmal ohne ungewollten Kommentar.
„Die Zeit verging, bis wir endlich alle Dokumente für einen Antrag auf „Aufenthaltstitel Familienangehöriger“ stellen konnten. Da ich nun jedoch in Karenz war, war mein Einkommen bei weitem niedriger, als es sein sollte.“
Zum Glück hatte ich in den Jahren davor ein wenig Geld sparen können, das nun gerade so genügte um zu beweisen, dass ich uns für ein Jahr finanziell selbst erhalten konnten. Ich konnte es kaum glauben, als wir kurz nach dem ersten Geburtstag unserer Tochter zu dritt aus der Bezirkshauptmannschaft traten. Mein Mann tatsächlich mit einer Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr.
Innerhalb weniger Tage hatte er einen Job und fing gleich zu arbeiten an. Das liegt inzwischen über zwei Jahre zurück. Wir haben ein zweites Baby in unserer Familie begrüßt und sind in eine größere Wohnung umgezogen. Ende gut, alles gut?
Naja. Die Aufenthaltsgenehmigung muss jedes Jahr erneuert werden und jedes Mal sind wir nervös, ob sie verlängert wird. Dieses Jahr war die zweite Deutschprüfung fällig. Monatelang besuchte mein Mann neben seiner Vollzeitbeschäftigung an zwei Abenden einen Deutschkurs, an mindestens zwei Abenden musste er Hausübungen machen. Manchmal kam ich mir mit zwei Kleinkindern sehr alleine vor. Dazu kam, dass jede*r nun eine Meinung zu unserer Kommunikation zu Hause hatte. Deutsch sollen wir sprechen, befahlen uns die einen. „Nur so lernt dein Mann die Sprache.“ Unbedingt beide Sprachen zu Hause sprechen, denn es wäre ja schade, wenn die Kinder nicht mehrsprachig aufwachsen, insistierten die anderen. Egal wie man es macht, man macht es falsch. Also machen wir es so, wie es sich für uns richtig anfühlt. Zurück zur Deutschprüfung: die bestand mein Mann wieder positiv, sogar mit gutem Erfolg (obwohl wir es wagen, zu Hause auch Englisch zu sprechen).
Die Bezirkshauptmannschaft, in der das Deutschzertifikat abzugeben ist, war jedoch nicht erreichbar, geschlossen wegen Covid-19. Die Aufenthaltsgenehmigung meines Mannes lief während der Schließzeit aus.
„Abgesehen davon, dass ich mir die Sicherheit wünsche, dass mein Mann auf jeden Fall in Österreich bei uns sein darf, wünsche ich mir auch, dass meine Kinder mit der Sicherheit aufwachsen, dass Österreich auch ihr Land ist.“
Man mag meinen, dass das selbstverständlich sei, immerhin sind sie in Österreich geboren, haben eine österreichische Mutter und wachsen hier auf.
Aber als afro-europäische Kinder fallen die beiden auf. Alle paar Wochen werde ich von Mitmenschen auf der Straße gefragt, ob das „wirklich“ meine Kinder sind oder ob ich sie adoptiert habe. Noch verstehen meine Kinder nicht, was die Leute meinen, aber wie werden sie sich fühlen, sobald sie es verstehen? Nichtsdestotrotz – Menschen wie der Moderator Stefan Lenglinger in der ZiB oder die Schülervertreterin Jennifer Uzodike machen mir Hoffnung, dass es irgendwann eine Selbstverständlichkeit sein wird, dass auch meine Kinder zu Österreich gehören. In der Zwischenzeit versuchen wir Eltern unseren Kindern den Rücken zu stärken und ihnen zu zeigen, dass sie großartig sind. So wie sie sind.
(T. & U., im März 2020)
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